Stell Dir einen sonnigen Spätsommertag vor. 

Du bist gerade an der frischen Luft und genießt diesen wunderbaren Tag in der Natur. Du läufst an einem Feld vorbei und beobachtest folgende Situation:

Eine Frau steht auf dem Kürbisfeld unweit von Dir. Es sind knallig orangene Hokkaido Kürbisse auf dem ganzen Feld zu sehen. Und die Frau hat genau so einen orangenen Hakkaido Kürbis in ihrem Fahrradkorb. Es ist kein Feld, bei dem man selbst pflücken darf und das Geld in eine Box legen darf. Nein. Es ist ein privater Acker und exakt in diesem Moment fährt auch der Bauer an Dir und der Frau vorbei. Der Bauer sieht den Kürbis im Fahrradkorb der Frau, stutzt kurz, verzieht verärgert sein Gesicht, fährt jedoch kopfschüttelnd und vor sich hin brummend weiter. Die Frau schaut ihm sichtlich peinlich berührt hinterher.

Was denkst Du?

Sei ehrlich.

Was ist Dein erster Impuls? Was sagt Dir Dein Bauch?

Und ich nehme mich nicht aus. Ziemlich wahrscheinlich würden viele Menschen beobachten und reininterpretieren: Die Frau hat einfach den Kürbis geklaut. Der arme Bauer! Wenn das alle machen …

Jetzt die andere Perspektive dieser „original“ Geschichte:

Die Frau mit dem Rad – das bin ICH!

Ja! Ich.

Nein, ich habe den Kürbis natürlich nicht geklaut. Wirklich nicht.

Es ist ein Samstag – ein wunderbar, sonniger Tag und ich bin mit meinem Fahrrad nach Freiburg gefahren. In Freiburg – um das Münster herum, ist samstags der für mich schönste Wochenmarkt der Welt.

(An alle, die nicht aus dem Freiburger Raum sind:

Bitte besucht mal Freiburg und geht samstags auf den Markt – ihr werdet ihn lieben.)

Jetzt aber wieder zurück zur Geschichte.

Auf meinem Lieblingsmarkt habe ich mir den wunderbaren Kürbis gekauft und mich schon so auf meine Kürbissuppe gefreut. Da ich keine weiteren Tüten oder ähnliches dabei hatte, habe ich meinen Kürbis (den ich ja fair und ehrlich auf dem Markt bezahlt hatte) liebevoll in meinen Fahrradkorb gelegt. Dann habe ich mich auf die Heimfahrt gemacht. Die Sonne kitzelte auf meiner Haut und ich radelte fröhlich nach Hause. Da bin ich an diesem beschriebenen Kürbisfeld vorbeigefahren und das satte, wunderschöne Orange der Kürbisse hat mich so beeindruckt, dass ich ein Foto von dem Feld machen wollte. Ich dachte mir, wenn ich nachher den Kürbis verarbeite, kann ich eine nette kleine Story dazu auf den sozialen Netzwerken posten. Und dazu wollte auch ein Foto von einem Kürbisfeld posten. Und genau in diesem Moment fuhr der Bauer an mir vorbei, schaute in meinen Fahrradkorb, zählte eins und eins zusammen und wertete. Er wertete voreilig. Ich war so traurig und entsetzt zugleich, wollte es ihm erklären. Doch der Bauer fuhr einfach weiter. Mir ging es so unendlich schlecht, obwohl ich meinen Kürbis ehrlich bezahlt hatte.

Warum ich Dir das erzähle?

Manchmal treffen wir auf Situationen, bei denen wir beschwören können zu wissen, was wir sehen und unsere Version der Geschichte reininterpretieren. Das ist schade. Und manchmal stehen wir uns damit selbst im Weg.

Deuten, Sehen, Interpretieren – 

Schubladendenken?!